Die körperlich kranke Seele



Zusammenfassung und Ausblick


Ich fasse nochmals zusammen. Wir sind ausgegangen von dem von Freud so benannten Schautrieb (Wahrnehmungstrieb), den ich in seiner konkretesten, unmittelbarsten Repräsentanz ein STRAHLT nenne, weil dieses direkt so erfahren werden kann. Setzt man sich eine Zeit lang ruhig hin, kann man stets (anfänglich am besten mit geschlossenen Augen) ein entspanntes „Schillern“ des eigenen Köpergefühls, Körperbildes wahrnehmen, etwas, das eben den Charakter eines STRAHLT hat. Es hat nichts mit dem alltäglichen Sehen durch die Augen zu tun, und man kann es natürlich am besten dann wahrnehmen, wenn man gleichzeitig ein oder mehrere FORMEL-WORTE übt, weil dies die Entspannung noch mehr verstärkt, beides sich also aufschaukelt. Hat man dies zehn Minuten versucht, wechselt man zur zweiten Übung.

Diese beruht auf dem bei Lacan herausgearbeiteten Sprechtrieb (Invokationstrieb). Bei dieser Übung achtet man auf das SPRICHT, einen „Klangstrom“, Lacans „universales Gemurmel“ rechts oder in der Mitte des Kopfes. Es zieht einen förmlich nach innen und oben und konzentriert den Übenden wie ein Lot in sich selbst. Nach zehn Minuten dieser Übung kann man feststellen, dass alle Aspekte des Verfahrens zusammengehören. Während man die FORMEL-WORTE gedanklich wiederholt, kann man zwischen dem STRAHLT (SCHEINT) und SPRICHT (VERLAUTET) hin- und herschwenken, um sie mehr und mehr in eine feste Kombinatorik zu bringen. Dann fangen die Übungen an, ihr Ziel preiszugeben.

Worin wird nun dieses Ziel, diese Erfahrung bestehen? Kehren wir zu den beiden Grundtrieben zurück. Das STRAHLT wird also mehr einen räumlichen und objektartigen und das SPRICHT mehr einen zeitlichen und deutungsartigen Charakter haben. Zuerst nochmals zum STRAHLT. Es können Bilder, Erinnerungen unserer nicht verarbeiteten Vergangenheit auftauchen. Da wir alle diese Phänomene mit den FORMEL-WORTEN verbinden, werden sie eine gewisse Struktur, primitive Ordnung, Topologie bekommen, so dass wir sie aushalten und erfahren können ohne gleich in den Traum oder Schlaf zu versinken und ohne uns von ihnen ablenken oder verwirren zu lassen. Ich habe diese Erfahrung auch die „Aufmerksamkeit des Anderen“ genannt, denn wir befinden uns in einem Zustand der Aufmerksamkeit, die wie jenseits von uns herkommt (obwohl sie sich in unserem Kopf ereignet). Und unter „jenseits“ versteht der Psychoanalytiker nicht eine andere Welt, sondern eine Welt „andersherum“, eine von unserer so differenzierte Welt, wie es einst die Welt der Eltern für uns Kinder war. Und so wie eben einer der Eltern damals ein ganz Anderer (geschrieben mit großem A) war, so ist dies auch der Analytiker. Deswegen habe ich hier auch vom Übertragungs-Objekt gesprochen. Aber je objektartiger, je rein raumhafter dieser groß A wird, desto mehr ist er auch jene Andersheit in uns selbst, die unsere Symptome mitverursacht, aber uns auch als reine Katharsis eine befreiende Erfahrung vermitteln kann. Die STRAHLT-Übung hat also etwas mit der Grundstruktur des Raumes, der Räumlichkeit als solcher, dem Hyperraum (ineinandergeschachtelten Räumen) zu tun. Ich kann hier nur auf Freuds bild-räumliche Vorstellung des Unbewussten verweisen, wonach dieses so aufgebaut ist wie wenn die Stadt Rom aus antiken, mittelalterlichen und neuzeitlichen Gebäuden – alle ineinandergeschachtelt – dargestellt würde. Und so auch unsere Erinnerungen, die mehr und mehr zu einem Gebilde, zu einer topologischen Figur zusammenwachsen (Aufmerksamkeit des Anderen, reine Struktur des groß A), wenn wir üben.

Ja, diese Erfahrung des Anderen (die auch Andersheit in und von uns selbst ist) führt uns zudem schon zu einer anfänglichen Form des SPRICHT, VERLAUTET, denn wir über ja dabei die FORMEL-WORTE, auch wenn diese noch nicht ein volles Sprechen im Sinne einer Deutung beinhalten. Aber erst wenn wir auch die zweite Übung machen, die mit dem ausschließlichen SPRICHT, beginnt eine andere Erfahrung, die ich den „Ruf, das Wort, den Auftrag des Anderen“ genannt habe. So lässt das SPRICHT, das Echo unserer „freien Assoziationen“ Gedanken auftauchen, die uns in wieder neue Gedankendiskurse führt: letztlich aber - denn alle Gedanken sind in Verbindung mit der ersten Übung (dem STRAHLT samt dem FORMEL-WORT) und bleiben so in Distanz zu dem simplen Alltagsdenken oder Grübeln. Sie lassen auf diese Weise ein zwar eingeengtes, aber klares und konstruktives Denken entstehen, das ich eben die analytische Seite der Psychokatharsis nenne. Es ist nunmehr nicht mehr ein Denken an dieses und jenes, sondern eines, das bezüglich seiner Alltäglichkeit fast ganz zum Stillstand kommt und gerade dadurch etwas ganz Wesentliches aus dem Unbewussten freigibt. Ein gewisses intellektuelles Nachfragen ist sicher lange Zeit notwendig, um die Methode nicht nur ganz verstanden zu haben, sondern auch durch die Praxis der Übungen und das Verstehen zusammen eine besondere Klarheit und Sicherheit zu erreichen. Dies ist eine Möglichkeit, immer bewusster unsere Tendenzen, Verwicklungen und Intentionen klarer zu formulieren. Und die letzte Klarheit bedeutet nichts anderes als „Aufmerksamkeit und Aufruf, Auftrag des Anderen“ in einheitlicher Form. Gleichzeitig mit der kathartischen Erfahrung findet so auch ein Stück Psychoanalyse statt.

Every dog has his day.

Proverb

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