Jesus und die Frauen

Jesus nämlich, der selbst kein Wort geschrieben hat und die Schriftgelehrten verteufelte, hatte exakt ein reines Signifikanten-Verhältnis zur Schrift als einer Schreibung, wenn er häufig sagt, dass die Schrift „erfüllt“ werden muss, und dass man nicht danach gehen kann, was die trockenen Schriftgelehrten sagen.

Er unterscheidet zwischen der Schrift und der Kraft,  d. h.  dass man die Buchstaben also mit Authentizität, Signifikanz, ja mit einer eigenen Schreibung, Signifikantisierung füllen muss. Was er sagen will, ist ja: nehmt die Schrift (das Alte Testament) nicht einfach als Schrift (als Alltags-Schrift), sondern als wirkliche Schrift, d. h.  als Schreibung, als Vorgang einer Schrift-Entstehung, die zwar jedes Mal, zu jeder Zeit eine andere ist, doch andererseits auch den Buchstaben treu bleibt ! Nehmt doch die Signifikanten, d. h.  erfüllt die Schrift, aber doch neu mit eurer eigenen Schreibung! Erkennt den trockenen Buchstaben nur als das tote Sprechen, zu dem aber doch auch die Kraft, die eigene Tiefeneinsicht, die Vision gehört, indem ihr so eine eigene, wirkliche Aussage erreicht. Denn ihr seid selbst Götter der Dinge!  Macht euch doch nicht kleiner als ihr seid! Ihr seid doch Götter, bezieht den „toten“ Signifikanten so in eurer Verhalten, Reden und Schreiben ein, dass eine Schreibung der Dinge, dass lebendigste Religion herauskommt!

In der Geschichte von der Heilung der Frau mit dem Blutfluss sehen wir sofort diese „aktive“, signifikante Form der Jesus-Therapie. Die Frau nähert sich Jesus von rückwärts und berührt heimlich sein Gewand. Blutfluss, verstärkte oder lang anhaltende Monatsblutungen, war in damaligen Zeiten eine extrem von Mythen und Aberglauben beherrschte Krankheit. Die damalige Auffassung schon der normalen Menstruation als „Unreinheit” ist jedem bekannt, erst recht, wenn diese Blutungen noch krankhaft gesteigert waren.

Aber wir wissen auch heute, dass sich hinter diesen abergläubischen Vorstellungen von Verderben und Sünde zum großen Teil männliche Sexualphantasien verbergen, die projektiv umgedeutet die Frau als schmutziges, sündiges Wesen hinstellen. Die ganze Angelegenheit ist also libidinös, energetisch, hoch aufgeladen. Die Frau leidet nicht nur unter einer Polymenorrhoe (verstärkter Menstrualblutung), sondern auch an Minderwertigkeitsgefühlen und Zurückgewiesenheit. Es besteht aber eine ausgeprägte Übertragung, d. h.  Aktualisierung und Aufladung eigener Gefühle und Bedeutungen auf den Anderen, den Therapeuten Jesus (den Anderen mit großem A). In dieser Situation jedoch behält Jesus die kühle Ruhe des Therapeuten und hat nicht die Ängste, er könnte von der erotischen Übertragung, von der distanzlosen Anmache, indem ihm die Frau gleich an den Rock fährt, irgendwie „angesteckt” und verunsichert werden.

Zudem weiß er natürlich auch, dass gerade sein asketisches, sein zölibatäres Leben, die Übertragung noch zusätzlich provoziert hat. Wer kennt nicht die Geschichten der aus London und New York anreisenden Mädchen, die auf der Khumba Mela von Hardwar die zölibatären indischen Gurus „testen“ wollen – nicht selten, sogar meistens, mit „Erfolg“! Vielleicht ist es diese, doch sehr angeheizte Übertragung,  die anfangs verursacht, dass Jesus „spürt, wie eine Kraft von ihm weggeht!” Er spürt die Gegen-Übertragung, d. h. , dass letztlich auch er noch ungeklärte Bilder, Gefühle, Reminiszenzen in sich hat, die ihn bei einer so direkten Begegnung mit Frauen berühren und die in Bewegung geraten.

Während Jesus also auf der einen, mehr imaginären Seite (Strahlt) die Übertragung selbst verstärkt, ja geradezu herausfordert, ist auf der anderen, der mehr symbolischen Seite (Spricht) das Reden in der Übertragung  noch nicht so hoch theoretisiert, wie wir es heute in der Psychoanalyse tun. Doch auch heute sprechen wir von Gegen-Übertragung, wenn der Analytiker spürt, dass er noch keine passende Deutung parat hat und eine Zeit lang unsicheren Gefühlen ausgeliefert ist. Trotzdem können wir aus dem weiteren Dialog genügend Theorie extrahieren.

Anmerkungen:

1. Unter  Übertragung versteht man also in der Psychoanalyse die Aktualisierung und Verlagerung von Bildern, Gefühlen und Bedeutungen des Patienten auf den Analytiker, indem man diesem Wissen, Macht, Kompetenz, unterstellt.

2. Gegen-Übertragung wiederum bezeichnet den umgekehrten Vorgang vom Analytiker auf den Patienten, indem dieser Empfindungen bei sich wahrnimmt, die sich auf die Übertragung beziehen.

3.  Der Psychoanalytiker muss sich als das Objekt der Übertragung, also auch als Objekt aller Wünsche und Bedeutungen des Patienten sehen und darauf stets deutend reagieren können.

Literatur Hier ist eine Textprobe von 'Jesus und die Frauen' kostenlos zum Download erhältlich.

Man bekommt keinen Wunsch, ohne die Macht zu dessen Erfüllung zu haben. Es kann allerdings sein, dass man dafür arbeiten müsste.

Richard Bach

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