Eros und Übertragungsliebe

Zeitweise hat man in der Psychoanalyse die positive Übertragung von der Übertragungsliebe unterschieden, aber im Grunde genommen ist hier kein Unterschied. Der Patient überträgt unbewusst Bedeutungen seiner Frühgeschichte oder aus anderen Beziehungen auf den Psychoanalytiker. Insofern er dies tut, weil er dem Therapeuten ein Wissen (seltener eine Macht) unterstellt und damit eine positive Einstellung zu ihm hat, ist sozusagen Liebe mit im Spiel. Sie soll natürlich so positiv bleiben, d. h. angemessen sein. Denn eine zu ausgeprägte Verliebtheit in der Therapie hat man als „erotische oder sexuelle Übertragung" bezeichnet und dargestellt, inwieweit eine zu heftige Liebesreaktion den therapeutischen Vorgang eher behindert. Aber natürlich weiß man schon lange, dass ein Stocken in der Therapie immer auch vom Therapeuten mitverursacht wird. J. Lacan, auf den ich mich sehr viel stütze, sagte, der einzige Widerstand in der Analyse kommt vom Analytiker selber, schon die Einführung der Grundregel, alles zu sagen, was einem so durch den Kopf geht, kann in die falsche Richtung verführen und dann darf man sich nicht wundern, wenn Patienten sich verlieben.

Vor ca. 40 Jahren gab es dann eine große und bis heute anhaltende Diskussion um die sogenannte Gegenübertragung des Analytikers. Sie ist ein Gemisch aus Übertragungsanteilen und aus Übertragung auf die Übertragung des Patienten. Ein Nicht-klar-kommen, ein nicht einzuordnendes physisches Empfinden, das plötzliche Auftauchen von Bildern beim Analytiker sind solche Gegenübertragungsphänomene, von denen man schließlich behauptet hat, man könne sie für die Therapie nutzen. Das ist natürlich nicht so einfach, denn wenn der Analytiker all diese Phänomene genau so spontan („frei assoziierend") äußern würde wie er es dem Patienten nahe legt, wer überblickt dann noch die Therapie? In dem Moment, wo er sich jedoch zu streng an eine Richtschnur klammert, hemmt er den eigentlichen Fortschritt in der Erkenntnis und Lösung der Probleme. Dies wird eben besonders in der ausgeprägten Übertragungsliebe bzw. erotischen Übertragung deutlich. Aber dies gilt auch z. B. für schwerere Depressionen. Man kann einem Depressiven ja nicht einfach nur zuhören oder ihn auf seine unaufgelöste Mutterbindung verweisen, man muss ihm ja irgendetwas auch direkt geben, und hier reicht eben auch oft selbst ein gut geführtes Gespräch nicht aus - auch wenn dies sowohl für einen Depressiven wie auch für den Umgang mit der heftigeren Übertragungsliebe nicht wenig ist.

Gerade erst in den letzten Jahren ist daher so ein Begriff wie die „positive Gegenübertragung" ins Fachgespräch gekommen. Also eine Gegenübertragungsliebe. Der Analytiker soll etwas in dieser Richtung aus äußern, sich zumindest mehr bewusst sein und entsprechende Gedanken und Gefühle zulassen, ohne deswegen das Gesamt des Dialogs aus den Augen zu verlieren. Aber all das klingt recht vage. Ein amerikanischer Psychoanalytiker, Money Kyrle, hat dies in einer Spiegelmetapher bezogen aufs Sexuelle so ausgedrückt:

„Ganz so wie im Liebesakt die Frau in ihrer rezeptiven und „passiven" Rolle aktiv ist . . .ganz so auch der Analytiker. Eine übertriebene Passivität in seiner Rolle hat (aber) Anklänge an das Verhalten der frigiden Frau, die nicht antwortet, sich nicht hingibt. In diesem Falle   [und das ist also der Fall der erst mal etwas kunstvoll erstellten „positiven Gegenübertragung", mein Kommentar]   erfüllen wir die Pflicht des analytisch-matrimonialen Kontakts zwar formal, ohne ihn aber seelisch zu vollziehen und zu genießen."

Der Autor will damit deutlich machen, dass die ganze analytische Situation, die Psychoanalyse generell, für den Umgang mit der verstärken Übertragungsliebe gar nicht geeignet ist. Es wird im rein analytischen Feld nie ein wirklich reifes Vorgehen geben, dass eine erotische Übertragung weitgehendst auffangen und weitertragen kann. Schon die physische Präsenz des Therapeuten steht hier ständig im Weg, man sieht und hört ihn wieder, und die Liebesgefühle bleiben die gleichen. Insofern denke ich, war es doch richtig, dass Sie die Therapie erst mal beenden konnten. Das weitere muss man sich überlegen.

Ich arbeite selbst an einem Verfahren meditativer Art, mit dem diese noch offene Kluft eines wirklich tief erfahrenden intersubjektiven Austausches besser gelingen kann. Ich habe das in Dritte-Welt-Ländern gelernt, die ja auch Methoden haben mit dem grundsätzlichen Übertragungsgeschehen effektiv und liebevoll umzugehen. Um die Wissenschaftlichkeit zu erhalten benutze ich einige Erkenntnisse aus der Lacan-Theorie. Man meditiert zu Hause und kann und braucht und soll dann auch den Therapeuten nur alle paar Wochen sehen und sprechen. Die gemeinsame Arbeit an einem neuen Weg bindet und sublimiert die Liebeserfahrung ohne sie zu verletzen oder zu umgehen.

Eben das, dass die gemeinsame Aufgabe beide, der Übertragende und der Gegenübertragende, so animiert, so mitten in der erotischen Spannung inspiriert, so dass wirklich ein Arbeiten herauskommt, ist in der klassischen Psychoanalyse kaum vorstellbar. In Indien (wenn man es als 3. Weltland sehen kann) ist eine erotische Übertragung so sehr mit einer idealisierenden Übertragung verbunden, dass das Problem der Gegenübertragung kaum noch ins Gewicht fällt. Daher haben sich dort, obwohl es auch Psychoanalyse gibt, andere Psychotherapieformen entwickelt, die dort gut funktionieren, bei uns jedoch nicht.

Gerd Riederer ist Psychoanalytiker in München. Der Name, Gerd Riederer, ist ein Pseudonym. Ich musste nicht nur meinen Namen, sondern auch Namen, Orte, Zeiten und einzelne Gegebenheiten meiner Bücher anonymisieren, weil es darin um authentische, persönliche psychotherapeutische Fallgeschichten geht, die nicht allgemein veröffentlicht werden können und sollen. Ich habe zwei Bücher geschrieben und auf meiner Website (erotologie.de) geht es hauptsächlich um das zweite dieser Bücher, dessen Inhalt und Probeseiten in der Rubrik Literatur zu finden sind.